Dan Brown: das verlorene Symbol
Rezension von H. B. - 01. Dezember 2009
Am 15. September 2009 wurde die englische Ausgabe „The Lost Symbol“ des Erfolgsautors Dan Brown mit einer Startauflage vom 6.5 Mio. Exemplaren auf den Markt gebracht. Die deutsche Version wurde an der Buchmesse Frankfurt am 14. Oktober freigegeben. Brown hatte bereits 2004 angekündigt, dass sein nächster Krimi von den Freimaurern handeln werde. Mit seinem vermutlich happigen Einkommen aus den über 81 Mio. verkauften Exemplaren seines früheren Bestsellers „Sakrileg“ (auf englisch „Da Vinci Code ‐ in der Buchgeschichte auf Platz 6 der meistverkauften Bücher) konnte er es sich leisten, zur Recherche über unseren Bund über mehrere Jahre etliche Mitarbeiter einzusetzen, um über die Freimaurerei zu recherchieren. Man kann also davon ausgehen, dass der Autor weiss, mit wem er es zu tun hat. Seit das Buch im Handel ist, steht es auf der Bestseller‐Liste, im deutschen Sprachraum landete es dort schon bevor es veröffentlicht war. Man rechnet mit mindestens 40 bis 50 Mio. verkauften Büchern. In Washington werden bereits Bustouren angeboten für Touristen, welche die Brown‐Fans an die geheimen freimaurerischen Orte in der Stadt bringen. Ob es den Freimaurern genehm ist oder nicht: das Buch wird Millionen von Menschen ein Bild über unseren Bund vermitteln, von dem voraussichtlich noch lange Spuren zurück bleiben werden. Es lohnt sich also, sich damit zu befassen.
Zum Inhalt
Das Buch handelt in Washington, D.C. „Es ist ein Washington, das wenige kennen“, sagte der US Editor im Vorfeld: „Es führt in eine Welt von Mystik, geheimen Gesellschaften, verborgenen Orten, voll von Geheimnissen und Rätseln“.
Das verlorene Symbol, welches Brown zum Titel seines Krimis macht, wird seit Generationen in zwei getrennten Paketen verwahrt. Die eine Hälfte wird von Peter Solomon gehütet, einem steinreichen, einflussreichen Freimaurer. Er ist Meister vom Stuhl und oberster Leiter des alten und angenommenen schottischen Ritus im 33. Grad. Die andere Hälfte hat er seinem Freund Robert Langdon anvertraut. Langdon ist Professor für Symbolik an der Harvard Universität und nicht Freimaurer. Werden die beiden Teile des Symbols zusammengefügt, können durch Auflösen einer Abfolge von Geheim‐Codes die letzten Geheimnisse entziffert werden. Die Macht des Symbols ist so gewaltig, dass auch der CIA vitales Interesse daran entwickelt. Freimaurer, Wissenschaftler , der CIA und Verbrecher jagen über die 500 Seiten des Buches im Cadillac Escalade hinter verdunkelten Fenstern durch die symbolträchtigen Strassen Washingtons, durchkämmen das geheimnisumwitterte Gebäude des Kapitols (wo sie z.B. in den unterirdischen Gängen in eine Kammer des stillen Nachdenkens geraten), die Library of Congress, die National Mall, das Washington Monument und weitere bekannte Schauplätze. Kurz bevor die Sache auffliegt, landet der Helikopter der CIA auf dem Dach des House of the Temple, dem Hauptsitz des alten und angenommenen schottischen Ritus. Das „Drama“ nähert sich seinem Ende ...
Washington hat eine reiche freimaurerische Geschichte
Brown sagt im Buch: „Es ist kein Geheimnis, dass Washington voll ist von freimaurerischen Geheimnissen“. Diese These ist nicht neu, und tatsächlich kann man in Washington freimaurerischen Spuren nachgehen. Viele Amerikaner haben davon schon gehört. Dan Browns Equipe hat das wohl auch festgestellt und ihr Geschäft danach ausgerichtet. So gibt es etliches zu entdecken, aber auch vieles richtigzustellen. Nachstehend folgen ein paar Hinweise auf die Vielfalt freimaurerischer Bezüge in dieser grossartigen Stadt. Die Auswahl der beschriebenen Monumente spielen im Roman eine wichtige Rolle. Beim Lesen stellt sich dabei ob der Übertreibungen gelegentlich ein leichtes Schaudern ein. Doch auch bei nüchterner Betrachtung bleibt viel Interessantes zurück.
Die Entstehung der Vereinigten Staaten ist massgebend von Freimaurern und deren Denken beeinflusst. Viele der Gründungsväter waren Freimaurer: George Washington, Benjamin Franklin, John Hancock, Paul Revere, La Fayette. Es ist belegbar, dass freimaurerische Praktiken und Gebräuche in die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der Vereinigten Staaten eingeflossen sind. So begegnet man der Freimaurerei in der frühen amerikanischen Geschichte auf Schritt und Tritt und damit auch in Washington. So sind Mythen entstanden. Die Freimaurerei in den Vereinigten Staaten ist stark von dieser Vorgeschichte geprägt und daran ist zu denken, wenn man das Buch liest.
Die Stadt wurde Ende des 18. Jahrhunderts auf einem 10 Quadratmeilen grossen Gelände in der Wildnis geplant. Pierre l’Enfant war dessen erster Planer. Sein Plan wurde zwar in der Folge stark verändert. L’Enfant war nicht Freimaurer. Aber man hat in der Folge immer wieder symbolische Deutungen in diesen und auch die späteren Pläne hineinprojiziert und freimaurerisch ausgelegt: z.B. ein Dreieck als Verbindung von Kapitol, Weissem Haus und Washington Monument. Durch Verbinden anderer bekannter Punkte in der Stadt lassen sich weitere Zeichen bilden: ein 5‐zackiger Stern, den Davidstern (Salomons Siegel), die Tierkreiszeichen Zodiac und Jungfrau (die mit der Freimaurerei wirklich nichts zu tun haben). Das sind alles Spekulationen. Solche Zeichen lassen sich beliebig aufstellen, sind in einigen Fällen gar nicht exakt zutreffend oder basieren auf Plänen, die so nicht realisiert wurden.
Kapitol
An wichtigen öffentlichen Gebäuden wurde nach maurerischem Ritual und öffentlich der Grundstein gelegt: beim Kapitol, beim Weissen Haus (eine Nachbildung des Leistner House in Dublin und Wohnsitzes des ersten Grossmeisters der Grossloge von Irland) und beim Washington Monument.
Die Gemälde und Fresken in Kuppeln und auf Wänden im Kapitol erzählen diese Geschichte der frühen Tage (www.aoc.gov/art). Dies sind die mythischen Kernstücke der amerikanischen Geschichte, vergleichbar mit unserem Rütli und Wilhelm Tell. Sehr häufig gibt es Bezüge zur Freimaurerei:
Hauptsitz des Alten und angenommenen schottischen Ritus südlicher Jurisdiktion ist einer der wichtigen Schauplätze im Buch. Der AASR wird gegenwärtig überschwemmt mit Anfragen und Besuchen und hat deswegen eine eigene Homepage eingerichtet (http://freemasonlostsymbol.com). Es gibt mehrere freimaurerische Tempel in Washington, aber keiner ist eindrücklicher als das House of the Temple. Das Haus wurde 1916 fertiggestellt. Als Vorlage diente das legendäre griechische Mausoleum des Maussolos in Halikarnassos in Persien, eines der sieben Weltwunder der Antike. Es präsentiert sich so, wie Unbeteiligte sich den Hauptsitz einer geheimen Gesellschaft vorstellen: mit eindrücklicher Fassade und Säulen, der Eingang beschützt von 2 mächtigen Sphinxen, das Dach als unvollendete Pyramide. Brown unterscheidet zwar klar und korrekt zwischen der Johannis‐Maurerei und ihr angehängten Organisationen. Aber natürlich hindert ihn nichts daran, die konspirative Konnotation mit Hochgraden, 33. Grad und hochselektiven Mitgliedern auszubeuten.
Washington Monument
Das Washington Monument erinnert unmittelbar an die unvollendete Pyramide. Auch dieses war als Grabstätte für den inzwischen verstorbenen hochverehrten Landesvaters George Washington gedacht. Washington in einer Pyramide aufgebahrt, Gott‐gleich, ein moderner Pharao. Soweit kam es auch hier nicht, obschon die Freimaurer zur Verwirklichung finanziell wacker beisteuerten. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juli 1848, das Monument war nach Unterbrüchen erst 1884 fertig: nur noch als eine schlanke Pyramide in Form eines Obelisken, wie auf dem Grossen Siegel dargestellt aus 13 Reihen Marmor, oben unvollendet. Den Schlussstein bildet ein Dreieck aus glänzendem Aluminium, ein zur damaligen Zeit sehr kostbares Metall, das die ersten Sonnenstrahlen des Morgens aufnimmt und auf die Bewohner der Stadt reflektiert: kein okkultes Zeichen, sondern ein Zeugnis der Omnipotenz des ABAB, der die Nation überwacht und führt. Hier wird Dan Brown die letzten Erklärungen zum verlorenen Symbol preisgeben. Diese zeugen davon, dass er die Freimaurerei genau studiert hat.
Das verlorene Symbol
Das verlorene Symbol, so erfährt man im Laufe der Lektüre, ist die unvollendete Pyramide mit dem aufgesetzten goldigen dreieckigen Schlussstein mit dem allsehenden Auge. Das ist für jeden Amerikaner ein sehr bekanntes Bild. Er trägt es täglich mit sich im Sack herum: auf der 1 $ Note. Es gilt weitherum als Zeichen der Freimaurer. Ist es das wirklich?
Das Symbol ist die Rückseite des Grossen Siegels der Vereinigten Staaten. Auch dieses wird oft als freimaurerisch bezeichnet. Dessen Entstehung ist gut erforscht. Das grosse Siegel hat aber keine freimaurischen Wurzeln. Von den 14 Personen, welche an seiner Entstehung beteiligt waren, war einer Freimaurer: Benjamin Franklin. Seine Vorschläge wurden abgewiesen.
Natürlich kann man die Pyramide freimaurerisch deuten: ein Dreieck, ein Symbol für Festigkeit und Dauerhaftigkeit, das Bestreben um Aufsteigen von fester irdischer Basis in himmlische Höhen andeutend, als Ort der Initiation. Es ist mir aber kein freimaurerisches Ritual bekannt, in welchem die Pyramide vorkommt.
Die plausibelste Erklärung ist die folgende: Ägyptologie war zu dieser Zeit ein beliebtes romantisches Sujet (denken wir an die Zauberflöte oder das gewaltige Echo von Napoleons Ägyptenfeldzügen) .
Die unvollendete Pyramide besteht aus 13 Steinbändern. Sie symbolisieren die 13 Staaten, welche zu den Gründern der USA zählten. Man wusste es: damit war erst ein Teil des Kontinents erfasst. Die USA waren noch nicht komplett. Die Staatenbildung würde noch weiter gehen.
Das Dreieck mit dem allsehenden Auge ist spätestens im Barock von der katholischen Kirche als Zeichen der Allmacht Gottes und der Trinität eingeführt worden. Die Freimaurer haben es später übernommen. Allerdings ist es kein typisches Zeichen, das für die Symbolik des Tempelbaus von Bedeutung ist. Entsprechend selten kommt es vor. Für den von Steuerlasten geplagten Amerikaner kann es ebenso gut als Symbol für den Moloch Staat verstanden werden: big brother is watching you.
Die naheliegende Erklärung lautet auch hier: die Vereinigten Staaten sind noch nicht vollständig gebildet. Die Staatsbildung wird erst vollendet sein mit der Integration der fehlenden Gebiete. Dann werden der Staat und die Pyramide vollkommen sein. Dieser Prozess wird vom ABAW wohlwollend überblickt. Von diesem Sendungsbewusstsein waren die Amerikaner schon damals zutiefst überzeugt.
Die beiden lateinischen Devisen im Symbol bekräftigen diesen Glauben: Annuit Coeptis (in etwa: „er war unserem Anfang gnädig“, „unser Vorhaben wird erfolgreich sein“) und Novus Ordo Seclorum („eine neue Weltordnung“)
Dan Brown und die Freimaurerei
Man wird dem Autor zugute halten, dass er unseren Bund korrekt darstellt. Allerdings werden viele haarsträubende Elemente unterschoben. Robert Langdon führt als gut informierter und objektiver Beobachter durch das Geschehen und macht immer wieder aufmerksam, wenn bei einem der übrigen Protagonisten die Phantasie ausser Kontrolle gerät. Es gibt treffende und originelle Aussagen über die Freimaurerei. Man muss als Leser nur genau darauf achten. Aber wer will und welcher Profane kann es? Die Spannung ist mitreissend. Dieser alte Trick der Schriftsteller hat schon Goethe zur Steigerung der Auflagen verholfen. Damals hiess das Rezept: Dichtung und Wahrheit. Heute sagen wir: facts and fiction. Unser hehres Lehrgebäude gäbe niemals den Stoff her für diesen reissenden Knüller. Brown reichert freimaurerisches Brauchtum bedenkenlos an mit Halbwahrheiten und auch mit völlig abwegigem. Wo will der aufs Verschlingen bedachte Krimileser die Grenzen ziehen?
Brown schildert hemmungslos den Inhalt der verschiedenen Grade. Sein Buch ist eine Verräterschrift. Die Rituale werden selbstverständlich nicht einfühlsam und diskret dargestellt, sondern reisserisch mit allen Attributen des Verschworenen, Geheimnisumwitterten. Es erscheinen Skelette und mit rotem Saft gefüllte Totenköpfe, es werden Stricke um den Hals gelegt und mit grausamen Strafen gedroht. Die Freimaurerei liefert ergiebigen Stoff für einen deftigen Krimi. Viele ahnten ja schon immer, dass es solch düstere Praktiken gibt und hörten von der unermesslichen Macht der Freimaurer.
Die Brüder in Washington nehmen den entstandenen Rummel mehrheitlich gelassen. Man wusste es ja: „When Dan Brown comes to town, things get a little bit nutty“. Das hat schon die Kirchgemeinde im schottischen Rosslyn erfahren, als Dan Brown in seinen früheren Krimi „Sakrileg“ die Behauptung aufstellte, dort hätten die Templer den Gral versteckt. Vor dem Erscheinen des Buches kamen jährlich etwa 40.000 Besucher nach Rosslyn, dann waren es plötzlich 175.000. Es brauchte zusätzliches Personal und mehr WCs. ‐ Es soll noch heute Touristen geben, die an der Baker Street in London Sherlock Holmes besuchen wollen.
Die Freimaurer werden mit diesem Harry Potter für Erwachsene leben können.
Literatur:
Dan Brown: „Das verlorene Symbol“ Christopher Hodapp: „Solomon’s Builders“
James Wasserman: „The Secrets of Masonic Washington“
Akram R. Elias: „Unveiling the Masonic Symbolism of Washington, DC“
Zusammenfassung
Der jüngste Roman von Dan Brown “Das verlorene Symbol” liegt nun auch in den Übersetzungen vor. Man rechnet damit, dass mindestens 40 bis 50 Mio. Exemplare abgesetzt werden. Freimaurerei durchzieht das Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Es wird daher unser Image der unkritischen Öffentlichkeit stark prägen.
„Das verlorene Symbol“ handelt in Washington, D.C. Die wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt erscheinen in freimaurerischer Symbolik. Dan Brown schildert die Freimaurerei weitgehend positiv. Allerdings kennt er keine Tabus in der Darstellung der Rituale und mischt facts and fiction hemmungslos zu einem äusserst spannenden Krimi. Man wird einiges besser verstehen, wenn man die besondere Bedeutung der Freimaurerei in der Geschichte der USA und damit Washingtons berücksichtigt. Das ist allerdings für den Aussenstehenden nicht einfach. So kann man sich über die unerwünschte Publizität nicht eigentlich freuen. Doch falls Dan Brown auch kritische Leser anlocken sollte, so werden diese sich ihr Urteil schon bilden können.
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